
Genau solche Momente wollten Julian Nagelsmann und der FC Bayern unbedingt vermeiden: Im Champions-League-Achtelfinale gegen Paris Saint-Germain spielt sich der deutsche Rekordmeister am gegnerischen Strafraum fest und verliert die Kugel. Die rechte Abwehrseite der Münchner scheint verweist. Mit einem gezielten Chipball will der Pariser Star-Sechser Marco Veratti den auf die Außenbahn ausgewichenen Kylian Mbappé einsetzen. Gemeinsam mit Achraf Hakimi und Lionel Messi sieht sich der Toptorschütze der Ligue 1 nur noch zwei Verteidigern gegenüber. Doch im Vollsprint eilt Josip Stanišić heran, bringt seine Stirnplatte an den Ball und vereitelt so die mögliche Chance zur Gäste-Führung. Mbappé schlägt angesichts der vergebenen Kontergelegenheit die Hände über dem Kopf zusammen. Es ist nicht die einzige Situation an diesem Abend, die den Unmut des französischen Superstars hervorruft. Denn an dessen Gegenspieler „Stani“ gibt es für die Pariser Offensive in in diesem Spiel kaum ein Vorbeikommen.
Nach dem überzeugenden 2:0‑Erfolg über Paris und dem verdienten Einzug der Bayern ins Champions-League-Viertelfinale wurde Stanišić regelrecht mit Lob zugeschüttet. Sein Trainer bescheinigte ihm nach der Partie eine „Weltklasse-Leistung“ auf der rechten Seite der Münchener Dreierkette gegen Nuno Mendes, Mbappé und Co. Hasan Salihamidzic zeigte sich ebenfalls begeistert: „Josip war überragend, einfach sensationell. Ich freue mich besonders für ihn, weil er aus unserer Akademie kommt.“ Viel Zuspruch für einen Spieler, der in der öffentlichen Wahrnehmung des Rekordmeisters oft untergeht und sich in einem hervorragend besetzten Kader gegen namenhafte Konkurrenten behauptet.
Doch so schön die Geschichte rund um Stanišić ist: Für den FC Bayern und seinen mit Stars gespickten Kader kann sie noch zum Problem werden. Wenn alle Spieler fit sind, sitzen zwangsläufig Hochkaräter auf der Bank und könnten durch den entstehenden Unmut dem Mannschaftsgefüge schaden. Gleichzeitig verringert eine hohe Star-Dichte die Einsatzchancen für Eigengewächse der Kategorie Stanišić und schadet so deren Entwicklung.
Cancelo bringt Qualität – und hohe Ansprüche
Einer dieser namenhaften Konkurrenten um einen Stammplatz ist João Cancelo. In den vergangenen Jahren ist der Portugiese unter Pep Guardiola bei Manchester City zu einem der besten Rechtsverteidiger der Welt gereift. Trotzdem musste Cancelo, der im Winter per Leihgeschäft nach München wechselte, gegen PSG auf der Bank Platz nehmen. Sein neuer Trainer begründete das mit dem Fokus auf eine höhere defensive Stabilität. Neben Cancelo kamen auch Leroy Sané, Serge Gnabry und der wieder genesene Sadio Mané nur von der Bank. Spieler von internationalem Spitzenniveau, deren Rolle im Bayern-Kader dem eigenen Selbstverständnis mitunter klar widerspricht. Andere europäische Teams blicken angesichts einer solchen Ersatzbank neidisch nach München. In Bezug auf die erwähnten Einwechslungen witzelte José Mourinho, aktuell Trainer bei AS Rom, vor wenigen Tagen, ihm würde „schon einer dieser Spieler reichen.“
Gemeinsam mit Matthijs de Ligt und Dayot Upamecano hielt Stanišić gegen Paris die Null. Die beiden Außenposition vor den drei Innenverteidigern bekleideten Davis und der formstarke Coman. Kein Platz für Cancelo, der zwar über offensive Ausnahmequalitäten verfügt, defensiv aber nicht immer über jeden Zweifel erhaben ist. Ein großer Dämpfer für den 28-jährigen portugiesischen Nationalspieler, der Manchester nach eigener Aussage aufgrund von zu geringen Einsatzzeiten verließ. Dabei startete Cancelo in 16 von 21 Premier-League-Spielen und kam in vier von sechs Champions-League-Partien von Anfang an zum Einsatz. Der Außenverteidiger kommt damit auf mehr Liga-Startelfeinsätze als Gnabry (15) und Sané (14). Diese Statistik zeigt, welchen Anspruch Cancelo hat und sein Wechsel legt nahe, dass er nicht gerade geduldig ist, wenn es um die eigenen Spielminuten geht. Nach zuletzt guten Vorstellungen von Stanišić und der Verpflichtung von Cancelo befindet sich Nagelsmann nun in einer Zwickmühle. Auch weil sein jüngster Neuzugang die eigene Qualität beim FC Bayern schon unter Beweis gestellt hat. So geschehen etwa am vergangenen Bundesliga-Spieltag, als Cancelo gegen Augsburg einen Treffer mustergültig vorbereite und sich zudem selbst in die Torschützenliste eintrug.
Setzt Nagelsmann jetzt das kroatische Eigengewächs öfter ein, kränkt er Wintertransfer Cancelo. Gibt er Cancelo die geforderte Spielzeit, wäre das ein schlechtes Signal an den eigenen Nachwuchs – vor allem nach den Lobeshymnen auf Stanišić und dem angepeilten Ziel, wie von Salihamidzic vor dem Augsburg-Spiel verkündet, in Zukunft immer mehr selbst ausgebildete Talente an die erste Mannschaft heranzuführen.
Auch in anderen Mannschaftsteilen ist die Konkurrenz groß
Eine ähnliche Problematik lässt sich auch in anderen Mannschaftsteilen feststellen: Marcel Sabitzer kam zur vergangenen Saison aus Leipzig, bekam kaum Spielzeit und flüchtete im Winter nach Manchester. Die Talente Mathys Tel und Ryan Gravenberch durften in der Liga jeweils erst einmal von Beginn an spielen. Besonders für Gravenberch, der bereits im Herbst des vergangenen Jahres offen seinen Unmut äußerte, kann dies keinen Dauerzustand darstellen. Der im Sommer verpflichtete Sadio Mané galt als Königstransfer der Münchner. Nach seiner Verletzung sammelt er zwar wieder erste Minuten, doch aktuell scheint Eric Maxim Choupo-Moting im Sturmzentrum gesetzt. Der Kameruner trifft regelmäßig und es scheint momentan eher unwahrscheinlich, dass Nagelsmann den Angreifer aus der Startelf streicht. Vor diesem Hintergrund muss sich der FC Bayern also die Frage gefallen lassen, ob Transfers wie die von Mané oder Cancelo tatsächlich sinnvoll waren. Die Qualität der Spieler ist unbestritten, aber unzufriedene Akteure eines solchen Kalibers könnten das Mannschaftsklima vergiften und Unruhe erzeugen. Mit Couthino oder auch James Rodriguez verpflichtete der FC Bayern bereits Spieler ähnlicher Güteklasse. Besonders gut ausgegangen ist es für diese Spieler nicht.
Es liegt nun am Fingerspitzengefühl von Julian Nagelsmann, das Starensemble auf Linie zu halten. Eine Qualität die ein Trainer auf absolutem Topniveau mitbringen muss. Schafft der Ex-Hoffenheimer es, den Kader bei Laune zu halten und die richtige Rotation zu finden, gehört der FC Bayern zum engsten Favoritenkreis auf den Henkelpott. Denn nicht nur José Mourinho schaut neidisch in den Süden der Bundesrepublik, auch ein gewisser Kylian Mbappé zeigte sich beeindruckt und sagte nach dem Spiel in Paris, der FC Bayern verfüge über „einen Kader der dafür gemacht ist, die Champions League zu gewinnen.“ Stimmt soweit. Aber nicht herausragende Kader gewinnen Titel, sondern herausragende Mannschaften.
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